Aktivieren – Voll da sein, wenn es wichtig ist!

Hellwach sein!
Aktivieren

Der Mensch ist immer auf etwas konzentriert. Es ist kaum möglich, sich im wachen Zustand auf gar nichts zu konzentrieren. Die Frage ist also, ob der aktuelle Fokus sinnvoll ist, um die gewünschten Ziele zu erreichen. Zudem ist auch die Frage, wie lange eine intensive Konzentration aufrecht erhalten bleiben kann. Überdies besteht die besondere Aufgabe in vielen Sportarten darin, die Aufmerksamkeit abwechselnd auf verschiedene Reize zu richten. Die Kompetenz des schnellen Umschaltens (auf einen anderen Reiz) ist abhängig von der Aktivierung.

Ein Beispiel

Beim gestrigen Zweitligaspiel (Regensburg – HSV) wird die Bedeutung der optimalen und professionellen Aktivierung deutlich. Das erste Beispiel passierte zu Beginn der zweiten Halbzeit. Zu diesem Zeitpunkt führte der HSV mit 0:1. Nach dem Anpfiff zur zweiten Halbzeit dauerte es dann etwa 60 Sekunden und Regensburg schoss den Ausgleich. Wie kam es dazu? Der HSV hatte eigentlich den Ball. Sie führten ihr gewohntes Aufbauspiel aus. Moritz Heyer (HSV) wurde mit mittelhoher Intensität bedrängt. Kontrolliert und routiniert sollte ein Rückpass zum Torwart erfolgen. Dieser erfolgte aber mit Ansage und deutlich zu kurz und Regensburg kann ausgleichen. Natürlich gehören Fehler im Sport dazu. Selbst auf höchstem Niveau unterlaufen sie regelmäßig. Durch Mentaltraining können Fehler natürlich auch nicht ausgeschlossen werden. Die Wahrscheinlichkeit für Fehler werden allerdings minimiert. In diesem Beispiel ist es gut vorstellbar, dass Moritz Heyer diesen Fehler nicht gemacht hätte, wenn er sich zum Ende der Halbzeitpause ideal aktiviert hätte.

Das zweite Beispiel ereignete sich am Ende der Partie. In der 89. Minute glich Regensburg aus. Der Jubel der Regensburger war enorm. Wenige Sekunden später schoss der HSV die erneute Führung. Auch hier kann es sich natürlich auch wieder um einen Zufall handeln. Aus sportpsychologischer Sicht sieht es allerdings wieder nach mangelndem Fokus, durch eine suboptimale Aktivierung aus.

Zum Hintergrund

Wie in der Einleitung beschrieben, hast der Mensch fast immer die Konzentration auf etwas gerichtet. Wie intensiv dieser Fokus ist und wie bewusst er gesteuert wird, ist jedoch sehr unterschiedlich. Die bewusste Steuerung ist auch gar nicht immer notwendig. Viele Entscheidungen im Sportspiel müssen so schnell getroffen werden, dass ein bewusstes Überlegen gar nicht möglich wäre. Eine bewusste Bewegungssteuerung schon einmal gar nicht. Bei Leistungspsportler*innen ist der Flow – der höchstmögliche Konzentrationszustand – auch gerade dadurch gekennzeichnet, dass die Entscheidungen intuitiv gefällt werden. „Was“ und „wie“ – geschieht beinahe von alleine. Durch Mentaltrainining kann dieser Zustand häufiger erreicht werden. Das Training verläuft auf mehreren Ebenen:

Flow-Training

Die Grundlage ist eine gut geschulte Körperwahrnehmungsfähigkeit. Im Körperwahrnehmungstraining lernen die Athleten ihre Körper genau kennen und nehmen mit etwas Übung alle Signale wahr. Gute geübte Sportler*innen spüren so früh Übersäuerungen und verletzen sich weniger häufig. Die Muskulatur wird sensibel wahrgenommen und auch das Gespür für die richtige Ernährung, das optimale Timing und die ideale Dosierung nimmt zu. Das Gleichgewicht und die Orientierung im Raum sind hoch geschult. Auf psychischer Ebene nehme ich Stimmungen und deren Veränderungen sehr schnell wahr. Die zweite Ebene ist die Regulation (Aktivieren & Entspannen). Im Mentaltraining lernen die Sportler*innen, durch welche Methoden sie sich aktivieren können: Alle sportlichen Methoden, die das Herz-Kreislauf-System hochfahren, gehören hier dazu. Zudem kann gezielt Schmerz eingesetzt werden. Gerüche und Musik können auch sehr anregend wirken. Jeder Athlet lernt hier mit der Zeit, was individuell am besten funktioniert.

Praxisanwendung

Zurück zum Beispiel: Ich operiere jetzt einfach mit Annahmen. Im wirklichen Mentaltraining ist das Erleben der Sportler*innen natürlich die Ausgangslage. Meiner Vermutung nach war Moritz Heyer zu Beginn der Zweiten Halbzeit nicht ideal aktiviert. Vor dem Spiel ist die Anspannung häufig hoch. Jetzt geht es für den HSV die letzten Spiele auch noch um sehr viel. Daher war die Anspannung am Anfang tendenziell hoch. Die natürliche Nervosität lässt mit Beginn des Spiels nach. Die körperliche Aktivität trägt ihren Teil dazu bei. Erfreulicher Weise führt die eigene Mannschaft auch noch zur Halbzeit. In der Halbzeit steht dann die körperliche Erholung im Vordergrund. Allerdings lässt damit automatisch auch psychische Aktivierung nach.

Wissenschaftlich Messbar sinken die Reaktionsgeschwindigkeit, Entscheidungsschnelligkeit und dadurch die Handlungsschnelligkeit. Im Kommentar heißt es dann häufig: “Uns fehlte die Wachheit. Die geistige Frische fehlte“. Oder anders herum heißt es: “Vor dem Tor waren wir hellwach!“ Folgende Vorbereitung hätte Moritz Heyer zur Aktivierung geholfen:

Aktivieren – eine beispielhafte Anleitung

  1. Kreislauf aktivieren: 20 Sekunden Skippings mit hoher Intensität.
  2. Körper aktivieren: Alle Körperteile kräftig abklopfen (leicht schmerzhaft).
  3. Sauerstoff: Schnelles, tiefes Atmen.
  4. In die Ohrläppchen kneifen (recht starker Schmerz).
  5. Motivation: Teil 1-4 mit der persönlichen Motivationsmusik hören (laut mit Kopfhörern).
  6. Riechen: Einen Atemzug z.B. Pfefferminzöl (kann auch auf die Handfläche aufgetragen werden und im Spiel eingesetzt werden).
  7. Visualisierung: Kurz vor dem Anpfiff auf die Ziele fokussieren: Freude am Leiden, Vollgas von Anfang an.
  8. So tun, als wenn ich im Flow bin (Körpersprache).

Das Vorgehen ist natürlich hoch individuell. Die Vorlieben und das genaue Vorgehen trainieren wir im Mentaltraining und es darf auch immer wieder angepasst werden.

Abschließend möchte ich noch kurz auf das zweite Beispiel zurückkommen: Das Gegentor nach dem intensiven Jubel. Jubeln ist körperlich anstrengend. Zudem ist die Aktivierung in der Regel im Anschluss zu hoch. Die Euphorie behindert hinzu noch die Konzentration. In solchen Situationen kann natürlich nicht ein solcher Ablauf erfolgen, wie oben beschrieben. An dieser Stelle würde natürlich ein analoges Entspannungsverfahren greifen. Am besten ist es, ein Tor relativ gelassen hinzunehmen und die Konzentration beizubehalten. Nun gehören starke emotionale Äußerungen offenbar zum Fußball dazu. Es bleibt dabei, dass sie trotzdem die Konzentration auf die wichtigen Dingen erschweren. Stellt euch mal einen Dart- oder Snookerprofi vor. Wie sich ein Jubelexzess negativ auf das nächste Break auswirken würde ist naheliegend. Zurück zum Fußball: Nach dem ausgelassenem Jubel muss dann zwingend eine kurze Entspannung erfolgen. Beim Fokussieren während des Wettkampfes ist die Rede von “Konzentrationsroutinen“.

Ich hoffe, dass ihr etwas mitnehmen könnt. Experimentiert einfach selber mit dem Entspannen und Aktivieren. Gerne helfe ich euch auch dabei, den bestem Wettkampfmodus zu finden. Meldet euch!

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